Ein Leben für den Wald und seine Menschen*

 Zum Tode von Doroti Müller Schwade 
Bernd Lobgesang

BrasilienNarchrichten
Doroti Alice Müller Schwade
Ende vergangenen Jahres verstarb plötzlich und unerwartet unsere Freundin und Mitstreiterin Doroti Müller Schwade. Doroti stammte aus Blumenau im Bundesland Santa catarina. In den siebzigern verliess sie ihre Heimat und engagierte sich in den darauffolgenden Jahren bei de Indianerschutzorganization OPAN (Operação Anchieta, heute Operação Amazônia Nativa) und beim katholischen Indianermissionsat (CIMI). Zu Beginn ihrer Tätigkeit nam sie Kontakt mit den Indianervölkern in Acre und im südlichen Teil des Bundeslandes Amazonas auf erstellte eine Übersicht úber ihre Siedlungsgebiete, ihre algemeine Lage und den Grad ihrer Gefährdung durch die nichtindianische Bevölkerung. Es war der erste Schritt für diese Ureinwohner, die damals noch abfällig als Caboclos, also Indianermischilinge, bezeichnet wurden, um sich aus der dumpfen Abhängigkeit von den Kautschuksammlern zu befrein und den Kampf um die Demarkation ihres Landes zu beginnen. Doroti gehörte zu den Gründern des CIMI Westamazonien und wurde später zu seiner Koordinatorin gewählt.
Die folgende kleine Geschichte mag ihr Engagement für die Ureinwohner erhellen: Als sie 1977 in Lábrea, einer kleinen Stadt am Ufer des Rio Purus im Bundesland Amazonas, ankam, ging sie zur Prälatur und informierte die örtliche Kirchenverwaltung über die von ihr geplante Reise zu den in der Region lebenden Indianervölkern. Frei Jesus, der heutige Bischof von Lábrea, nam sie damals in Empfang. Er merkte schnell, dass Doroti allein ins Indianergebiet reisen wollte. Vergeblich versuchte er, sie davon abzuhalten, indem er ihr die Risiken einer derartigen Reise durch den Urwald vor Augen stellte. Vergebens. Da er sie von Ihrern Plänen nicht abbringen konnte, packte Frei Jesus seine Sachen zusammen und begleitete sie auf ihrer gefährlichen Fahrt.
Dorotis arbeitsgruppe betreute die Jarawara, Paumari und Jamamadi. Die Station, die vie sie anderen Häuser der Region auf Pfählen errichtet wurde, um die saisonalen Überschwemmungen überstehen zu können, lag in einer als Estação bezeichneten Siedlung Gummizapfern und befand sich eine Tagesreise von Lábrea entfernt. Doroti untersuchte die Lebensverhältnisse der Indianer und Gummizapfer sehr genau und arbeitete darauf hin, die immensen Vorurteile zwischen beiden Bevölkerungsgruppen abzubauen und insbesondere den oft aus Nordostbrasilien stammenden Gummizapfern klarzumachen, dass sie von den Kenntnissen der Indianer über Flora und Fauna profitieren konnten. Das war nicht leicht, denn die Nordestinos gingen oft davon aus, sie allein seien die Zivilisierten und damit den „Wilden“ Indianer überlegen. Dabei ernährten sich die Gummizapfer oft schlechter als die Indigenen und vegetierten in mindestens genauso grossem sozialen Elend wie diese dahin.
1979 heiratete Doroti Egydio Schwade, den damaligen Sekretär des CIMI. Das Paar liess sich zunächst in Itacoatiara/Amazonas in der Prälatur von Dom Jorge Marskell nieder. Sie wollten den beiden Völkern Waimiri-Atroari möglichst nahe sein, denn hier sollte ihre Arbeit so schnell wie möglich beginnen. Aus diesem Grund zogen sie auch 1984 nach Presidente Figueiredo, einen Ort, der wäherend der Zeit der Militärdiktatur widerrechtlich auf dem Land der Waimiri-Atroari gegründet wurde. Von hier aus bereiteten sie ihren Aufenthalt bei den Indianern vor.
Damals gehöhrten die Waimiri-Atroari zu den gefährdetsten Indianervölkern Amazoniens. Beim Bau der Überlandstrasse BR 174, die Manaus mit Venezuela verbindet, kam es von 1968 bis 1974 zu bludigen Auseinandersetzungen zwischen den militärischen Bautrupps und den Ureinwohnern. Auf dem Höhepunkt der Konflikte bombardierte die brasilianischen Luftwaffe mehrere Dörfer der Waimiri-Atroari. Die wenige Jahre später beginnende Förderung von seltenen Bodenschätzen durch das Bergbauunternehmen Mineração Taboca und der in den Achtzigern angelegte Balbina-Stausee mit seinem Wasserkraftwerk, das laut Planungen ganz Manaus und die wachsende Freihandelszone mit Energie versorgen sollte, verringerten erheblich den Landbesitz der Waimiri-Atroari. Ihre Zahl schmolz während der Verfolgung und des Genozids auf etwa 350 Menschen zusammen. Allein während der Zeit des Strassenbaus kamen an die 2.000 Waimiri-Atroari ums leben.
Nach dem Ende der Militärdiktatur (1964-1985) nahmen Doroti und Egydio den Kontakt mit den Dörfern der Waimiri-Atroari wieder auf und wurden von mehreren Dorfgemeinschaften offiziel dazu eingeladen, Alphabetisierungskurse in der Sprache der Ureinwohner durchzuführen. Da die beiden das Idiom der Waimiri-Atroari noch nicht beherrschten, entstand ein gegenseitiger Alphbetisierungsprozess, der gerade am Anfang durch bilder und Zeichnungen in Gang kam. So blieb es nich aus, dass die Verbrechen der Militärs zur Sprache kamen. Auf den Bildern der Indianer waren nicht nur Tiere und Pflanzen des Waldes zu sehen, sondern auch Dörfer bombardierende Flugzeuge und tote Waimiri-Atroari. Die Aufdeckung und Publizierung dieser Verbrechen stiess bei den offiziellen Stellen auf direkten Widerstand, und 1886 verbot die staadliche Indianerstiftung FUNAI den Schwades den Zugang zum Reservat der Waimiri-Atroari. Zu jener Zeit wurde die staatliche Indianerpolitik noch mehr als heute von Leuten des alten Systems bestimmt, die eine Aufdeckung und Verurteilung der Verbrechen des Militärregimes unter allen Umständen verhindern wollten.
Nach der erzwungenen Rückkehr nach Presidente Figueiredo widmeten sich die Schwades anderen Themen. Sie bauten das „Kulturhaus Urubuí“ vornehmlich als Bildungsstätte für die örtliche Bevölkerung und die Studenten aus dem 100 km entfernten Manaus auf. Zusammen mit ihren fünf Kindern beschäftigten sie sich intensiv mit der Imkerei. In kostenlosen Kursen in vielen Regionen Amazoniens gaben sie ihr Wissen über die Bienenzucht an die dortige Bevölkerung weiter. Gerade in der Honigproduktion erkannten sie eine ideale Möglichkeit, den Regenwald zu nutzen und ihn vor der Zerstörung zu schützen, denn die Bienen können nur dann Honig herstellen, wenn der Wald bestehen bleibt und nicht der Brandrodung zum Opfer fällt. Doroti nahm neben ihren vielfältigen familären Aufgaben regen Anteil an der Entwicklung von Ideen, wie man die unfruchtbaren Böden Amazoniens verbessern und sie naturverträglich nutzen kann. Sie baute ihr Wissen über die Pflanzen Amazoniens immer weiter aus und wurde zur anerkannten Fachkraft für nachhaltige kleinbäuerliche Landwirtschaft unter den besonderen Bedigungen des Amazonasregenwaldes.
Doroti war eine Frau, die immer in Bewegung blieb. Trotzdem wirkte sie nie überanstrengt oder am Ende ihrer Kräfte. Mit grosser innerer Ruhe und grosser Freundlichkeit blickte sie allem und jedem entgegen. Davon zeugt auch die folgende Anekdote: Als die Schwades mit Hilfe einiger Freunde das Haus in Presidente Figueiredo bauten, gesellte sie ein Musiker zu ihnen, setzte sich auf die Veranda und spielte auf seiner Flöte. Doroti lud ihn zum gemeinsamen Essen ein, das er gerne annahm. Danach ging er, ohne dass er seinen Namen genannt hatte. Doroti blickte sich um und sagte: „Dieses Haus wurde durch diesen Besuch gesegnet. Hier wird es niemals an Essen fehlen!“

So war es auch in all den darauffolgenden Jahren. Wir, die Mitglieder der Brasilienhilfe e.V. und viele andere, genossen gerne Dorotis Gastfreundschaft: Ihre fachliche Kompetenz in allen Amazonien betreffenden Fragen und ihre Menschlichkei werden wir schmerzlich vermissen.

*Originäl in BrasilienNachrichten Nr. 143-2011, p. 26-27.
*Artigo publicado originalmente na Revista BrasilienNachrichten Nr. 143-2011, p. 26-27.

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